An wohl keinem Ort in dieser Welt liegen Leben und Tod so dicht beieinander wie in Varanasi. Ein Besuch am heiligsten Ort der Hinduisten.
Ich hatte unfassbares Glück. Irgendein Gefühl an meinem letzten Abend in Bodh Gaya sagte mir, dass ich vielleicht doch keine Lust hätte um 3 Uhr früh aufzustehen, um dann 6 Stunden mit den Zug nach Varanasi zu fahren. Ich buchte spontan einen Flug, um die Strecke in 30 Minuten zu schaffen. Wie sich herausstellte die beste Entscheidung, die ich treffen konnte. Man teilte mir am nächsten Morgen beim Check Out mit, dass mein ursprünglich geplanter Zug unfassbare 15 Stunden Verspätung hätte. Und es wäre damit zu rechnen, dass noch einige Stunden hinzu kämen.
Noch chaotischer. Noch lauter. Noch mehr Elend. Als ich dachte, ich hätte sämtliche Kulturschocks schon überstanden, setzte Varanasi noch einen obendrauf. Die Stadt gilt als Superkonzentrat von Indien. Alles, was dieses Land ausmacht, kommt hier auf engstem Raum zusammen. Sie ist der heiligste Ort der Hinduisten, gilt sie doch als Stadt des obersten Gottes Shiva. Pilger suchen die Ufer des Ganges hier seit über 2.500 Jahren auf. Der Ort Varanasi ist deutlich höher gelegen als der Ganges. Das Ufer erreicht man durch sehr steile Treppen, den sogenannten Ghats.
Die Bilder der Armut waren entsetzlich. Mitten auf einer dicht befahrenen Straße lag ein Mann dem beide Unterschenkel fehlten auf dem Rücken. Ein anderer stand nackt mitten auf einer Kreuzung und riss eine Zeitung in Stücke. Kein Ausnahmefall, sondern alltägliches Stadtbild. Auf den staubigen Straßen streunende Hunde, Katzen, Affen und Kühe. Holzkarren, Rikschas, Motorroller und Autos aller Altersklassen. Und dazwischen, ihr könnt es Euch sicher schon denken, Menschen Menschen Menschen. Arm, reich, nackt, verrückt, gesund, krank, gläubig. Eine Ordnung erschloss sich mir nicht. Die Verkehrspolizisten erschienen mir wie eine Farce.
Gottlob hatte ich über mcmeyesworld eine Abholung vom Flughafen und eine Reiseleitung für den nächsten Tag organisiert. Alleine wäre es mir unmöglich gewesen mich zurecht zu finden. Meine Unterkunft lag in der Altstadt von Varanasi, direkt am heiligen Fluss Ganges. Dort sind keine Fahrzeuge mehr zugelassen und ich war froh, als ein junger Mann meines Gasthauses mich abholte und mich durch das unüberschaubare Labyrinth enger, farbenfroher Gassen lotste, in denen ich des öfteren den Hinterlassenschaften der heiligen Kühe ausweichen musste, die dort in Müllbergen nach etwas Essbarem suchen.
Ganges
Der Ganges ist 2.600 Kilometer lang. Er entspringt im Himalaya und ist für die Hinduisten nicht weniger als die lebendige Wasserform einer Göttin, die sie ‘Mutter Ganga’ nennen. Das Wasser des Ganges wird in Ritualen zur körperlichen und geistigen Reinigung genutzt und sogar getrunken. Fast jeder Hindu bevorratet sich mit dem heiligen Wasser in Plastikcontainern. Insbesondere, wenn sie nicht in der Nähe des Flusses wohnen. Familien und Nachbarn, die keine Möglichkeit haben zum Ganges zu pilgern, werden gleich mit versorgt, denn dem Wasser werden heilende Kräfte nachgesagt und von Homöopathen regelmäßig verschrieben.
Die biologische Realität sieht natürlich etwas anders aus. Chemische Abfälle, ein enormes Übermaß an Fäkalien und in den Fluss geworfene Leichen ergeben eine enorme Verschmutzung jenseits unserer Vorstellungskraft. Und trotzdem ist der Glauben an ‘Mutter Ganga’ so groß, dass diese Fakten bei den Menschen lediglich eine Nebenrolle spielen. Sofern sie denn überhaupt bekannt sind.
Für Hinduisten ist es ein großes Ziel einmal in ihrem Leben zum Ganges zu pilgern und sich mit einem Bad von ihren Sünden rein zu waschen. Das größte Ziel ist es in Varanasi zu sterben und seine Asche in den Fluss streuen lassen. Sowohl lebendiges Bad als auch der Tod finden in unmittelbarer Nähe zueinander statt. Der Körper muss nach dem Tod binnen 24 Stunden eingeäschert werden. Zwei Krematorien direkt am Ufer des Sees leisten Akkordarbeit. Trotzdem finden immer noch Verbrennungen auf einem Platz unter freiem Himmel statt. Es gibt viele Unterkünfte, die sich auf die Unterbringung von Sterbenden spezialisiert haben. Es heißt, wer an diesem Ort stirbt wird den Kreislauf der Wiedergeburten durchbrechen und in die Ewigkeit einkehren. Eine gewaltige Abkürzung, da der Hinduismus von Millionen Wiedergeburten in allen erdenklichen Lebensformen ausgeht.
Ich wagte einen ersten Spaziergang am Ufer des Flusses und geriet in einen Sog von Bettlern, Gurus, Bootsfahrern, Touristenführern und Drogendealern, die mich im Sekundentakt ansprachen. Meine indische Arbeitskollegin riet mir, einfach nicht zu reagieren. Manchmal leichter gesagt als getan, denn nicht selten wird man am Arm festgehalten.
Ich war trotzdem glücklich schon angekommen zu sein, denn mit dem Zug hätte meine Reise noch nicht mal begonnen. Und so war ich rechtzeitig vor Ort um der allabendlichen Ganga-Aarti-Zeremonie beizuwohnen. Eine Beschwörung der ‘Mutter Ganga’ mit viel Gold, Blumen, prachtvollen Kostümen, Düften, Kerzen, Feuer und natürlich Wasser aus dem Fluss. Faszinierend hypnotisch und im krassen Gegensatz zu den sonstigen Eindrücken der Stadt. Durchgeführt wird die Hauptzeremonie von 7 hinduistischen Priestern. Es dürfen nur reine, junge Männer sein. Meistens sind sie unter dem üblichen Heiratsalter von 25 Jahren. Wundervolle handgemachte Musik untermalte das Schauspiel. Den roten Punkt auf die Stirn gab es von einem Kind nach der Zeremonie dazu. Natürlich ungefragt und gegen Zwangsspende. Es kann ja nicht schaden, die Götter gütig zu stimmen.
Am nächsten Morgen erwartete mich eine Bootsfahrt auf dem Ganges bei Sonnenaufgang. Die frische Morgenluft war kalt und herrlich. Mein Begleiter für den Tag erwartete mich schon und organisierte uns ein Ruderboot. Die Eindrücke waren wundervoll. Gläubige badeten im Fluss, Yogis übten sich in ihren Verrenkungen, Gurus unterrichteten bereits ihre Schüler und westliche Sinnsuchende in kreischbunten Klamotten hüllten sich in den Nebel von Räucherstäbchen. Viele Möwen umschwärmten die Boote und wurden von den Touristenführern für spektakuläre Fotos mit lautem Rufen angelockt.
Ein markanter, schief im Wasser gelegener Tempel kam mir während unserer Bootsfahrt sofort bekannt vor.
“Take me back to the rivers of belief” sang Michael Cretu auf seinem ersten multireligiösen ENIGMA Album ‘MCMXC A.D.’ und das dazugehörige Video zeigt Szenen von Menschen die von Tempeldächern in den Ganges springen. Gedreht wurde dies zur Monsunzeit, wenn der Ganges ein unglaubliches, oft tödliches Hochwasser führt und das komplette Ufer metertief unter Wasser steht. ‘The Rivers Of Belief’ gehört zu meinen Lieblingssongs. Ich bin immer ergriffen wenn sich Musik mit Erlebnissen verbindet. Das war wieder so ein Moment.
Varanasi war eine der anstrengendsten und zugleich faszinierendsten Reiseerfahrungen meines Lebens. Im Sekundentakt wurde ich von Bettlern und Scharlatanen angesprochen. Oft gab es dabei Körperkontakt. Sich einfach ans Ufer setzen und ungestört dem spirituellen Treiben zusehen war unmöglich. Und trotzdem konnte ich mich nicht sattsehen an diesem Ort, der mir so fremd war, wie selten ein Ort zuvor und den ich nur ganz schwer in all seinen Facetten beschreiben kann.
Besonders skurril und irgendwie liebenswert war ein Guru, der sich angeregt mit seinem Stoffbären unterhielt. Beide saßen gemütlich in der Sonne und waren auf der Suche nach Schülern, die sie unterrichten könnten.
Mein selbstgewähltes Schicksal ‘Holzklasse’ machte mir zu schaffen. Ich wollte eine Unterkunft in Flussnähe, konnte mir aber keinesfalls die exorbitanten Preise für ein besseres Hotel leisten. Das Zimmer in meinem Gasthaus war nicht das erste Zimmer ohne Fenster, das ich bewohnt habe. Aus der Toilette jedoch strömten Düfte in mein Zimmer, deren Aromen sich nicht zu Niederschrift eignen. Außerdem hatte ich wahnsinnige Halsschmerzen und Angst ernsthaft krank zu werden. Es war kälter als erwartet und meine Reisegarderobe nicht auf Wintertemperaturen ausgelegt.
Als ich beim Frühstück schlotternd und eingemummelt in zwei Kapuzenpullis den dritten Chai Tee bestellte fragte mich der Besitzer was los sei. Ich berichtete ihm von meinem Dilemma und er wusste sofort was zu tun ist. Er bereitete mir eine ayurvedische, heiße Honig-Ingwer-Zitrone zu und bestand darauf, dass ich sofort wieder zu ihm kommen solle, sobald ich wieder anfangen würde zu frieren. Geld wollte er keins von mir.
Tatsächlich wurde der Hals schnell wieder besser. Mein Trinkgeld fiel nach meinem letzten Frühstück etwas üppiger aus, worauf hin er darauf bestand mir hinduistische Armbänder zu schenken. Außerdem würde er für meine Gesundheit auf meiner weiteren Reise beten.
Wie wundervoll.
Das Video… so schoen! Ich kann mir kaum vorstellen, wie Du das alles bewaeltigst. Kannst Du vielleicht mal die emails oder Kontaktinformationen von Deinen lokalen Guides mit angeben? Im Falle, das man mal einen Guten braucht? Danke.
Die Guides habe ich alle von Deutschland aus schon organisiert bekommen durch meinen lieben Freund Uwe (www.mcmeyersworld.de) in Zusammenarbeit mit einer tollen, indischen Agentur. Ich sende Dir die Informationen.