Delhi

Zwei Welten in einer Stadt. Nach anstrengenden Tagen erkannte ich in Delhi zum ersten Mal so etwas wie eine vertraute Struktur wieder und konnte etwas durchatmen.

Die letzten Tage waren anstrengend. Sehr anstrengend. Auch wenn ich mich langsam an die Zustände in Indien gewöhnt hatte, so zehrten das Dauerdröhnen der Hupen, die prekären hygienischen Verhältnisse, die Armut und die Menschenmassen spürbar an meiner Kraft und meinen Nerven.

Trotz vieler Vorwarnungen wollte ich Indien auf eigene Faust erfahren. Meine Erfahrungen waren definitiv lebensbereichernd und ich möchte sie nicht missen. Ich würde es genau so wieder tun. Jedoch kein zweites Mal.

Hier ab Delhi tauche ich wieder ein in eine andere Welt. Ich breche auf zu einer privaten siebentägigen Rundreise durch den Bundesstaat Rajasthan, der bei Indientouristen üblicherweise als erstes auf dem Reiseplan steht. Oder als einziges. Märchenhaft soll er wirken. Ursprünglich. Exotisch. Wie aus tausendundeiner Nacht. Ich tausche die Holzklasse wieder gegen Komfort ein und erspare mir durch einen eigenen Fahrer immense Wegzeiten. Würde ich versuchen die gleiche Tour auf eigene Faust zu wagen, dann würde sich meine Reisezeit vermutlich auf 14 Tage verdoppeln, ohne dass ich mehr gesehen hätte.

In Delhi angekommen war der Weg vom Flughafen zum Hotel üblich chaotisch. Mit einem Unterschied. Sowohl die Straße, als auch die Gebäude, die auf unserem Weg lagen, vermittelten mir zum ersten Mal seit ich in Indien war den Eindruck eines normalen Standards, wie wir ihn kennen. Ein moderner Schnellzug hätte mich in 19 Minuten ins Stadtzentrum gebracht. Aber ich wurde mit dem Wagen abgeholt und verbrachte die ersten zwei Stunden meines Aufenthaltes im Stau.

Im Hotel Restaurant erlebte ich zum ersten Mal, dass ich vorsorglich ein mildes Curry bestellte, aber es mir dennoch zu scharf war. Und ich bin scharfes Essen durchaus gewohnt. Trotzdem war es köstlich und mit einem frischen, warmen Knoblauch Naan milderte ich die Schärfe etwas ab.

Am nächsten Morgen traf ich meinen Reiseleiter für Delhi. Jayanta Bharracharya überraschte mich mit seinen guten Deutschkenntnissen. Jayanta hat deutsche Literatur studiert und vermutlich mehr Klassiker von Goethe, Brecht und Kafka gelesen, als ich es je tun werde. Wir verstanden uns auf Anhieb blendend und machten uns sofort auf den Weg.

Mein Hotel lag in Neu-Delhi, ein Stadtteil, den die britischen Kolonialherren am Reißbrett entworfen und ab 1911 erbaut hatten, um ihren Regierungssitz von der damaligen Hauptstadt Kalkutta hierher zu verlegen. Dadurch wirkt Neu-Delhi so europäisch und vertraut. Als wir in das alte Delhi reinfuhren war ich wieder mitten in dem Indien, das ich die letzten Tage kennengelernt hatte. Laut, eng, chaotisch. Zwei völlig verschiedene Welten in unmittelbarer Nachbarschaft. Eine Stadt.

Nur im Vorbeifahren warfen wir einen Blick auf das Rote Fort, da einige Tage später in Agra eine ausführliche Besichtigung des dortigen Forts auf meinem Programm steht.

Wir erreichten die beeindruckende Jamia Masjid. Die Freitagsmoschee, so die deutsche Übersetzung, wurde 1650 eingeweiht. Sie ist aus rotem Sandstein erbaut, in dem kunstvoll weißer und schwarzer Marmor eingelassen wurde. Die Minarette sind 40 Meter hoch. Mit Platz für bis zu 25.000 Gläubigen ist sie die größte Moschee Indiens und eine der größten der Welt.

Erbaut wurde sie unter dem Mogul Akhbar, zur Zeit als türkische Dynastien über Indien herrschten. Errichtet wurde sie von seinem Enkel Shah Jahan, der auch in Gedenken an seine Lieblingsfrau das Taj Mahal erbauen ließ. Jayanta erzählte mir die Geschichte, dass Shah Jahan eines Nachts in einem Traum die Stimme von Allah hörte, der zornig fragte, wie er anstatt zu seinen Ehren für seine Frau solch ein Gebäude errichten könne. Daraufhin soll Jahan den Entschluss gefasst haben die Jamia Masjid in Delhi zu errichten.

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Auf unserer nächsten Station hatte ich zum ersten Mal nach langen Tagen das Gefühl tief durchatmen zu können. Das Raj Ghat ist eine schöne Parkanlage zum Gedenken großer indischer Politiker und strahlt eine herrliche Ruhe aus. Zumindest bis wir zu der Stelle kamen, an der Mahatma Gandhi eingeäschert und beigesetzt wurde. Schon aus der Ferne konnte ich nicht fassen, welche Ausmaße der Selfie Wahn inzwischen angenommen hatte. Touristen bemühten sich bestmöglich mit einer Ruhestätte in Szene zu setzen, notfalls auch dadurch, dass sie auf die kleine Mauer kletterten. Von Andacht keine Spur. Irritiert verzichtete ich darauf mich der Stätte weiter zu nähern.

Tut weh: Selfiewahn an einer Ruhestätte
Tut weh: Selfiewahn an einer Ruhestätte
Tut gut: Viel Grün und wenig Menschen
Tut gut: Viel Grün und wenig Menschen

Die Grabstätte des Moguls Humayun soll als Vorlage für das gut 100 Jahre später erbaute Taj Mahal gedient haben. Auch hier genoss ich die wunderbare Parkanlage um das Mausoleum herum. Für indische Verhältnisse war diese fast menschenleer. Etwa 100 Grabstätten befinden sich im Humayun Mausoleum. Auf dem gleichen Gelände wurde noch ein Grabmal für Isa Khan errichtet, ein verdientes Mitglied des Hofstaates des Moguls.

Dort angekommen zuckte ich zusammen. Zum zweiten Mal auf meiner Reise hatte ich ein intensives, musikalisches Erlebnis. In Varanasi am Ganges erkannte ich die Tempel aus Enigmas Musikvideo „The Rivers of Belief“ wieder. Und hier krächzte aus dem nostalgischen Handy des Sicherheitsdienstes eine Version des Liedes, das Michael Cretu in „Age of Loneliness“ auf seinem zweiten Enigma Album verwendet hatte. Ich brauchte einen Moment, bis ich die Melodie zuordnen konnte.

Ich bat Jayanta für mich zu übersetzen. Das Lied stamme aus einem Bollywood Film und würde die Wiedervereinigung eines Paares besingen. Ich zückte mein Handy und erstaunte den Security Mann mit Michael Cretus Version des Liedes. Nach etwas Recherche stellte ich fest, dass weder das eine, noch das andere Lied ein Original ist. Verwendet wurde hier nämlich ein mongolisches Lied. So überschneiden sich die Popkulturen.

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Das Humayun Mausoleum...
Das Humayun Mausoleum…
...soll als Vorbild für das Taj Mahal gedient haben
…soll als Vorbild für das Taj Mahal gedient haben

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Isa Khan Grabmal
Isa Khan Grabmal

Die Eroberung Indiens durch die Muslime im 12. Jahrhundert zog viel Zerstörung buddhistischer und hinduistischer Stätten nach sich. Als Zeichen seines Triumphes ließ Quatabuddhin Aibak mit dem Qutb Minar eine Siegessäule errichten. Sie ist 72,50 Meter hoch und aus rotem Sandstein erbaut.

Um die Säule herum wurde die erste Moschee auf indischem Boden errichtet. Sofort wundert man sich über die reichhaltigen Verzierungen der Ruine, die für Moscheen doch völlig unüblich scheinen und sogar Hindu Gottheiten zeigen. Als Baumaterial hatte Aibak die Trümmer der von ihm zerstörten Tempel verwenden lassen. Die Moschee wiederum fiel einem starken Erdbeben zum Opfer. Die Siegessäule Qutb Minar hat dieses überstanden.

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Der Tag verging wie im Flug. Jayanta führte mich hervorragend durch Delhi und versorgte mich mit vielen aktuellen Informationen und interessanten Einblicken. Wir sprachen über Indiens Situation und die immer wiederkehrende Frage, wie man sie verbessern könnte. Der aktuelle Premierminister Narindra Bhai Modi scheint beim Volk hoch angesehen zu sein und trifft auch entschlossen unbequeme Entscheidungen, wie zuletzt die völlig überraschende Entwertung der 500 und 1.000 Rupien Scheine. Vieles scheint aber nicht immer durchdacht oder stößt auf Widerstand verschiedenster Interessengemeinschaften.

Jayanta erzählte mir, dass beispielsweie Kinderarbeit in Indien inzwischen verboten sein, was absolut begrüßenswert ist, jedoch ohne eine gleichzeitige Schulpflicht nur den Effekt hätte, dass die Kinder fortan zum Betteln geschickt werden.

Wir einigten uns darauf, dass Bildung, Wohnung und Gesundheitsversorgung für die Bevölkerung die wichtigsten Schritte wäre, um darauf aufzubauen.

Indien ist mit 1,25 Milliarden Menschen die größte Demokratie der Welt. Die Probleme sind enorm und das Volk wächst weiter und soll in einigen Jahren schon China als bevölkerungsreichstes Land der Erde abgelöst haben. In zweieinhalb Jahren wird wieder gewählt. Und Jayanta hofft, dass der aktuelle Premierminister in eine zweite Amtszeit gehoben wird. Für etwas mehr Kontinuität und Stabilität.

Guter Touristenführer und belesener Deutschexperte: Jayanta Bharracharya
Guter Touristenführer und belesener Deutschexperte: Jayanta Bharracharya

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